EINIGEN (auf Spielregeln) als Kulturtechnik?

Bevor ein Spiel startet, muss zumindest Einigkeit hergestellt werden, dass nun andere Regeln gelten: Der Ernst des Lebens wird unterbrochen, der “Heilige Ernst” (Huizinga) des Spiels beginnt. Mit einem Handschlag wird diese Übereinkunft besiegelt. Er signalisiert die Bereitschaft der Spielparteien sich auf ein faires Spiel einzulassen.
Daher sind der erste Untersuchungsgegenstand der Enquetekommision, die im Rahmen der Ludologischen Symposien zusammentritt, die diversen Verfahren mit denen Einigkeit hergestellt wird.
Regeln einer ludologischen Enquetekommission
Im Zuge der ludologischen Symposien werden
Aus einem Spielobjekt wird eine Kulturtechnik abgeleitet; eine irreduzible Operation, die aus der Materialität des Dings, mit dem augenscheinlich gespielt wird, abgeleitet wird. Sie lassen sich eine Reihe von Elemente isolieren, aus denen sich diverse Spiele zusammensetzen.
Einigen ist in diesem Sinne noch keine Kulturtechnik. Zahlreiche solche stehen zur Verfügung, um sich einig zu werden:
- sprechen (aushandeln),
- schreiben (vertraglich),
- kaufen (rechnerisch),
aber auch gänzlich implizit: es reicht einfach am Spieltisch Platz zu nehmen.
Das erste Spielobjekt, das als Präzedenzfall an diese erste Stelle einer ludologischen Untersuchungskommision rückt, ist daher die Hand.
Die zugehörige Kulturtechnik ist das Hände schütteln.
Wir driften aber nicht in die mannigfaltige Kulturgeschichte dieses symbolischen Akts ab, der während Corona wieder besondere Aufmerksamkeit erfuhr.
Spieleforscher*innen müssen nicht lange nachdenken, um sich an ein bestimmtes Spiel zu erinnern, dass oft in Einigungsprozessen zum Einsatz kommt, d.h. wenn es gilt sich etwas auszuknobeln und keine Hilfsmittel zur Hand sind.
Schere-Stein-Papier
ist eben eine verspielte Form des Händeschüttelns. (Verspielt heißt in diesem Fall ludifiziert, also eine Reglementierung eines anarchischen Kinderspiels, wo die Regeln immer einer impliziten oder expliziten Aushandlung zur Disposition stehen.
Gemäß eines frühen Handbuchs für Game Designer*innen (Salen/Zimmermann 2004) ist Spiel (‘game’) wie folgt definiert.
“A game is a system in which players engage in an artificial conflict, defined by rules, that results in a quantifiable outcome.”
Das System stellt drei Optionen zur Wahl, der künstliche Konflikt entsteht aus dem intransitiven Verhältnis dieser dreier Optionen, die jeweils einer anderen überlegen ist, eine intrasitive Reihe.
Sid Meier, Erfinder der Civilization-Reihe reduzierte das unendlich in die Länge zu ziehende Abwägen auf einer Serie von Entscheidungen: “A game is a series of interesting decisions.” Genau besehen müssen sie nicht interessant sein. Damit sich ein Spiel aber auf einem Markt reich an Angeboten bewährt, sollten sie besser interessant sein. Die Ausgewogenheit dreier gleichwertiger Optionen für zwei Spieler*innen macht sie interessant genug.
Das Spiel (“game” / ludus ) Schere-Stein-Papier ludifiziert das theatralische Spiel (“play” / paidia ) des Hände-schüttelns. Der kontinuierliche Prozess der auf-und-ab Bewegung wird in diskrete Abschnitte überführt, in zählbare Ergebnisse. Es förmliches Händeschütteln steht oft am Ende von Verhandlungen; es besiegelt eine bereits erzielte Einigung. Indem man das Einigen so systematisch verspielt, kann es grundlegend für weitere Spiele werden.
Man sichert die für das Spiel zentrale Freiwilligkeit in vor-diskursiver Weise – sie ist also nicht in Sprache gehoben. Noch bevor es zum Austausch von Argumenten kommt, bevor Spielzüge sich abwechseln, ist in einem gemeinsamen Takt der Prozess des sich Einigwerdens geregelt.
Der Prozess der Körperlichen Synchronisation wird regelgeleitet in eine quantifizierbare Ordnung überführt.
Eine kohärente Ludologie könnte daher eine Wissenschaft von der nicht weniger künstlichen Intelligenz der Hand sein.
Handwerk und Handwissen
Spiele mobilisieren ein Wissen; das in neuzeitlichem Automatenfetischismus schon oft “künstlich” in Maschinenform übersetzt wurde. Im derzeitigen Diskurs rund um künstliche Intelligenz sind aber diese Ingenieurleistungen bloß Täuschungen.
- Emblematisch wirkt die Schwierigkeit per KI Hände zu generieren.
- Auch in der Versuchsanordnung des Turing-Tests muss die Hand des Gegners verborgen werden. Dann ist eine maschinelle Intelligenz, die den Zug geplant und entschieden hat, nicht mehr von der menschlichen zu trennen.
- Spiele sind zentral, um KIs zu trainieren, denn strikt regelgeleitetes Verhalten kann Denken simulieren, das am Spielbrett (oder Bildschirm) öffentlich einsichtig wird. Die Möglichkeit eigene Strategien zu entwickeln ist ein Meilenstein im selbstgesteuerten Training, der Programme.
Als Designer gibt man den Spieler*innen des Spiels Möglichkeiten an die Hand, über Spielmechaniken den Verlauf zu beeinflussen. Bleibt die Frage, ob Spieldesign selbst an KIs ausgelagert werden können? Können sie interessante soziale Dynamiken in Gang zu setzen? Kann Informationstechnologie selbst ohne Körper, für unsere menschlichen Gestalten reizvolle Spiele ermitteln?
Ein normales Spiel Schere-Stein-Paper spielt man selbst am besten ganz ohne Intelligenz. Rein zufällig gewählte Aktionen, können nicht vorausgeahnt werden. Second-Guessing ließe sich ausschalten, wenn man vorher seine Wahl heimlich würfelt.
Zwei Spieler*innen, die diese ideale Strategie anwenden, einigen sich durch LOSEN.
Ludologische Dokumentation
Durch die Gegenüberstellung komplexer Interaktionen mit diesen elementaren Techniken zeichnen wir die Produktion von Bedeutung auf ihrer grundlegendsten Ebene nach. Der Dokumentationsprozess selbst war rekursiv und wurde in Zines festgehalten: einzelne Blätter Papier, die zu einer buchähnlichen Form gefaltet wurden. So wie komplexe Erzählungen durch einfaches Blättern navigiert werden, werfen diese Zines ein Licht auf die komplizierten Prozesse der Bedeutungsproduktion in Spielen, die durch simple Operationen angetrieben werden.
Literatur
Dünne, Jörg, Kathrin Fehringer, Kristina Kuhn, und Wolfgang Struck, Hrsg. Cultural Techniques: Assembling Spaces, Texts & Collectives. De Gruyter, 2020. https://doi.org/10.1515/9783110647044.
Huizinga, Johan. Homo Ludens: Vom Ursprung der Kultur im Spiel. 21. Aufl. Rororo, 2009.
Macho, Thomas. „Tiere zweiter Ordnung. Kulturtechniken der Identität“. In Der Mensch: ein „animal symbolicum“?: Sprache, Dialog, Ritual, herausgegeben von Heinrich M. Schmidinger und Clemens Sedmak. Topologien des Menschlichen. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2007.
Tekinbaş, Katie Salen, und Eric Zimmerman. Rules of play: game design fundamentals. MIT Press, 2003.

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