Simon Huber in einer Doppelenquête (17) zum Ordnen – in unserem konkreten Fall der Zine-Sammlung.
Zu Beginn spielen wir ein einfaches Spiel: Karten mit den Zahlen von 1 bis 9 liegen in der Tischmitte. Abwechselnd wird eine genommen. Wer zuerst exakt eine Addition von 15 Punkte erzielt, gewinnt. Keiner der Anwesendes kannte dieses Spiel und so konnten wir eine kleine Serie von Partien spielen, die sogar als erfrischend wahrgenommen wurden. Dabei handelt es sich im Prinzip um das gleiche Spiel wie Tic-Tac-Toe ist, das nur durch Karten vermittelt wird. Die Züge schreiben sich in ein unsichtbares Raster ein, ein magisches Quadrat. In der Legende vom chinesischen Kaiser soll ein solches Quadrat als göttliches Geschenk ihm auf dem Panzer einer Schildkröte erschienen sein – eine Ordnung, die auf einmal sichtbar wurde.

Das erzeugte auch die Evidenz für die in der Enquete zum Sammeln aufgestellte These, dass Sammeln in rekursiver Anlage – ‘das Sammeln des sammelns’ — Ordnen ist. Das visuelle Einschreiben der Zugfolge in ein arithmetisches 3×3-Feld, entspricht graphischen Mustern. Auf diese Pausenunterhaltung eingespielt erzeugt ein solches Spiel lauter Unentschieden. Im Film Wargames wird so der außer Kontrolle geratene Computer ausgetrickst, der nicht mehr komplizierte Nuklearkriegsszenarios durchdenkt, sondern damit aufgehalten wird gegen sich selbst endlos Tic-Tac-Toe zu spielen: Dieses reizlose Spiel zu spielen, hält die künstliche Intelligenz davon ab überhaupt strategisch zu denken.

Johan Huizingas emphatischer Formulierung: „Das Spiel schafft Ordnung, ja es ist Ordnung.“ ist ja längst nicht mehr widerspruchslos akzeptiert: Man könnte auch Ian Bogost folgen, der nach Jahrzehnten Game research resignierend konkludiert: “Videogames are a mess.” (Man darf vermuten, dass diese Frustration daraus resultiert, dass bestimmte Spielen nicht mit übersimplifzierenden Deutungsmustern beizukommen ist.)
Beim Eintragen in das Raster begegnen sich jedenfalls zwei Ebenen: das Regelwerk, das eine Abfolge von Zügen erzwingt, und die Agonalität, das Gegeneinander zweier Spielenden. Selbst wenn nicht bewusst sortiert wird, erzeugt das Spiel eine zeitliche Ordnung: Zug für Zug, Bewegung für Bewegung. Darum ist Huizingas Diktum mehr als Rhetorik – es verweist auf das paradoxe Verhältnis von Spiel und Struktur. Später wird Caillois diese ordnungsgebende Struktur als Charakteristikum des Ludus im Gegensatz zum anarchischen Paidia differenzieren, das nicht notwendigerweise nach Ordnung strebt.
Solche erspielte Ordnung erschöpft sich. Sobald sich die im Spiel codierte Schwierigkeit restlos durchschauen lässt, verlieren sie ihren Reiz: Nichts bleibt übrig, das geordnet werden müsste. Deswegen ist Tic-Tac-Toe nach ein paar Runden witzlos. Erst Varianten wie Second-Order Tic-Tac-Toe stellen die alte Spannung wieder her, indem sie das Raster vervielfältigen und neue Ebenen der Übersetzung zwischen Arithmetik und Strategie eröffnen.

Probleme des Ordnens
- Nicht-agonale Spiele: Sudokus, Kreuzworträtsel, Patiencen. Hier wird Ordnung nicht durch abwechselnde Züge, sondern visuell und konzeptuell gestiftet. Der Reiz besteht vielleicht darin, zufällige Muster zu durchkreuzen, Alltagsordnungen auszusetzen und in einer alternativen, selbst auferlegten Ordnung aufzugehen.
- Irreduzible Spieloperationen: Ordnen ist nicht immer die Hauptoperation. Manchmal entsteht Ordnung durch andere Praktiken: Sammeln (mit der Grenze des Behälters), Stapeln (mit der Grenze der Schwerkraft), Eintragen (im Stellenwertsystem), Einigen und Ausscheiden (der Magic Circle als alternative Ordnung). Diese Operationen erzeugen Ordnungen, sind aber nicht vollständig auf „Ordnen“ reduzierbar.
So ergibt sich eine erste Ordnung aller bisher besprochenen Kulturtechniken: Manche stiften Ordnung direkt, andere durch Komplettierung – durch Platzieren, Verbergen, Werfen, Einsetzen.
Ordnende Kulturtechniken:
- Händeschütteln (synchronisieren)
- Sammeln
- Stapeln
- Eintragen
- Ausscheiden (Zugfolgen)
- Kacheln (Sonderfall, weil u.U. eine…)
Ordnung applizierende Spieloperationen:
- (Karten) legen
- zusammensetzen
- maskieren
- platzieren
- punkten
- losen
- verbergen
- schießen
- werfen
- einsetzen
Muster und Kulturtechnik
Auch im maschinellen Lernen wird unterschieden: zwischen Systemen, die selbständig Muster suchen, und solchen, die nur bekannte Muster reproduzieren. Übertragen auf Spiele: Manche führen eine gegebene Ordnung ein (Schach mit seiner Startaufstellung), andere entfalten Ordnungen im Vollzug (Schach als Repertoire von Strategien). Kulturtechnikforschung denkt dabei in Verben: ordnen, sammeln, stapeln, losen. Diese Logik versuchen wir hier produktiv zu machen: indem man jedes Mal ein Verb herausgreift, das noch vor dem durch die Regeln etablierten Zusammenhang (‘Spielmechanik’) Denkmöglichkeiten erlaubt, die noch nicht in das Konzept passen müssen. Man macht einen Schritt hinter das, was als Spielelement vertraut erscheint (oder eben als interessante Innovation).
Hinter die Reifizierung
Das bedeutet auch: Kulturtechniken sind älter als die Dinge, die sie hervorbringen. Zeitrechnung ist älter als „die Zeit“, Ackerfurchen sind älter als „die Landschaft“. Spielen ist älter als die Spiele.
Selbstreflexiv auf unser „Schere, Stein, Papier“-Konzept angewandt, können wir auch hinter die etablierten Repräsentationen treten: So haben wir es plötzlich mit schneiden, schleifen, wickeln zu tun. Sie lassen sich übersetzen
- als (materielles) Experimentieren zum Schärfen der Begrifflichkeit
- Symbolisieren zur Beschleunigung kommunikativer Prozesse
- Mustern, das gewonnene Zeichen in theoretischen Zusammenhang stellt.
Kulturtechniken, die nicht im selbstgesetzten Rahmen nach Ordnung streben, sondern sie allererst denkbar machen.
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