Verbergen

6. Enquete vom 28. März 2024

Das Verbergen: Die Kunst des Unsichtbaren im Spiel. Das Verbergen ist eine elementare spielerische Geste, die nicht zu übersehen ist – paradoxerweise gerade weil sie sich bewusst dem Blick entziehen will. Das Verbergen als eine fundamentale Kulturtechnik des Spielens strukturiert Spannung, erzeugt Dynamik, schafft Möglichkeitsräume. Dieser Beitrag unternimmt eine kulturtheoretisch informierte Annäherung an das Verbergen im Spiel: als Praxis, als Mechanik, als Bedeutungsträger – und stellt es dem Verstecken gegenüber, das eine eigene Qualität des Unsichtbaren in sich trägt.


Zwischen Instinkt und Spiel: Tiere verstecken, Menschen verbergen

Auch im Tierreich begegnen wir Verhaltensweisen, die dem Verstecken ähneln. Das klassische Beispiel ist das Eichhörnchen, das im Herbst seine Nüsse vergräbt, um sie im Winter wiederzufinden. Dieses Verhalten dient dem Überleben, nicht dem Spiel. Die Nuss wird vor anderen Tieren versteckt, damit sie niemand findet – ein Verbergen ohne kommunikativen oder ästhetischen Mehrwert. Tiere verstecken Nahrung oder sich selbst instinktiv, ohne ein Bewusstsein dafür, dass jemand anderes ihr Verhalten interpretieren könnte. Menschen hingegen nutzen das Verbergen als Zeichen. Sie spielen damit – und lassen andere an dieser Unsichtbarkeit teilhaben. Beim Verstecken spielen wird kollektiv vereinbart, dass jemand an einem unbekannten Ort verborgen ist. Diese Konvention erzeugt Spannung, Erwartung und schließlich Auflösung. Das kindliche Spiel hebt sich damit grundlegend von tierischem Instinktverhalten ab. Es zielt nicht auf Schutz oder Überleben, sondern auf Beziehung, Erkenntnis und Spaß.

Frühkindliche Begegnungen mit dem Unsichtbaren

Ein bemerkenswerter Einstieg in diese Unterscheidung ergibt sich bereits im frühkindlichen Spiel. Kleinkinder schließen instinktiv die Augen – und glauben in diesem Moment, sie seien selbst nicht mehr sichtbar. Wer nichts sieht, ist auch selbst nicht zu sehen – so die implizite Logik. Diese scheinbar naive Geste verweist auf einen tiefen Zusammenhang zwischen Wahrnehmung und Präsenz, der später im Spiel kulturell verfeinert wird. Noch deutlicher zeigt sich dies im beliebten Eltern-Kind-Spiel “Peek-a-boo” (Guckguck): Ein Erwachsener verdeckt kurz sein Gesicht, öffnet dann plötzlich die Hände – und löst so bei einem Kleinkind überraschtes Lachen aus. Diese frühe Form des Entbergens erzeugt Spannung und Freude und bildet einen der ersten Berührungspunkte des Menschen mit dem Prinzip des Verbergens. Erst mit zunehmender kognitiver Entwicklung lernen Kinder, dass Verstecken und Verbergen unterschiedliche Modi sind: Verstecken heißt, die Existenz zu verschleiern; Verbergen bedeutet, eine bekannte Existenz bewusst aus dem Zugriff zu entziehen. “Verstecken spielen” wird damit zu einer Übergangsform – einem Spiel mit beidseitigem Wissen und asymmetrischer Sichtbarkeit.

Verbergen als Strukturprinzip in analogen Spielen

Im späteren Spiel – ob analog oder digital – zeigt sich, dass das Verbergen eine der effektivsten Techniken ist, um Spannung zu erzeugen. In Brettspielen wie „Memory“ oder „Schiffe Versenken“ ist das Verbergen von Informationen regelbasiert organisiert: Die Spieler*innen wissen, dass Informationen existieren, aber sie haben keinen direkten Zugriff darauf. Der Spielreiz entsteht gerade aus dem Fehlen dieser Einsicht. In „Liars Dice“ wiederum geht es nicht nur um das Verbergen von Informationen, sondern um das performative Spiel mit Wahrheit, Täuschung und Bluff. Die Würfel unter dem Becher sind unsichtbar, aber sie sind da – und das, was über sie gesagt wird, schwankt zwischen Ehrlichkeit und Täuschung. Das Unsichtbare wird zum Spielfeld – und der Zweifel zur zentralen Ressource. Die Bedeutung der Ungewissheit im Spiel wurde schon früh erkannt: Der französische Philosoph Roger Caillois bezeichnete „Uncertainty“ als einen der vier Grundpfeiler des Spiels. Ohne das Moment der Ungewissheit – so Caillois – könne kein echtes Spiel entstehen. Auch Richard Garfield, Robert Gutschera und Skaff Elias betonen in ihrem Werk „Characteristics of Games“, dass Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit grundlegende Bedingungen für die Entstehung von Spannung und Spieltiefe sind. Ein Spiel, das vollkommen durchschaubar ist, sei in seiner Struktur eher ein Rätsel oder ein Lehrsystem, aber kein lebendiges Spiel. Sicherheit beendet das Spiel – nur Unsicherheit hält es offen.

Vom Versteck zum Ritual: Verbergen in dramaturgischen Systemen

Auch jenseits der frühen Kindheit bleibt das Verbergen ein zentrales dramaturgisches Prinzip. In sogenannten Legacy-Spielen wie „Pandemic Legacy“ oder in Escape Rooms strukturiert das Verbergen nicht nur den Raum, sondern auch die Zeit. Was noch nicht aufgedeckt ist, existiert in einem Schwebezustand – als Versprechen, als Geheimnis, als kommende Wendung. Diese strukturierte Verzögerung wird durch materielle Mittel konkretisiert: Box-in-Box-Systeme, versiegelte Umschläge, codierte Schlösser. Der Moment des Entbergens – sei es durch eine aufgedeckte Karte, einen geöffneten Behälter oder einen entschlüsselten Code – wird zum Höhepunkt der Spielspannung. Das Verbergen erfüllt hier eine narrative Funktion: Es erlaubt dem Spiel, sich selbst dosiert zu enthüllen und auf das richtige Timing hin zu entfalten. Die Neugier wird gesteuert, die Offenbarung wird zelebriert.

Sichtblocker und Programmierung: Verbergen im digitalen Raum

Digitale Spiele professionalisieren diese Techniken durch Codierung. Der berühmte „Fog of War“ in Strategiespielen wie „StarCraft“ erzeugt durch algorithmisch erzeugte Unsichtbarkeit taktische Tiefe. Stealth-Mechaniken in Spielen wie „Dishonored“ oder „Hitman“ machen die Unsichtbarkeit zur Spielstrategie selbst. Was früher durch Sichtblocker realisiert wurde, wird heute durch Sichtkegel, Geräuscherkennung und KI-gesteuerte Gegner ersetzt. Auch in Multiplayer-Games wird Verbergen durch unsichtbare Kartenbereiche, anonyme Spielerfiguren oder zufallsbasierte Belohnungssysteme technisch verankert. Doch auch in digitalen Formaten gilt: Das Wissen um die Existenz des Verborgenen ist der Schlüssel zur Spannung. Absolute Leere wäre langweilig – das Unsichtbare wird nur dann interessant, wenn es vermutet werden kann. Die Spannung entsteht aus der Lücke zwischen Wissen und Ahnung, zwischen Beobachtung und Interpretation.

Soziale Choreographien: Verbergen als performativer Akt

Sozial gesehen erweist sich das Verbergen auch als performative Geste. In Spielen wie „Werwölfe von Düsterwald“ oder „Secret Hitler“ wird das eigene Wissen nicht nur zurückgehalten, sondern mit sozialer Raffinesse moduliert. Mimik, Gestik, Pausen, Sprechweise – alles wird Teil eines dichten Spiels aus Täuschung und Vermutung. In Bluffspielen wie „Poker“ oder „Coup“ wird die Grenze zwischen Wissen und Schauspiel fließend. Wer verbirgt, spielt nicht nur gegen andere, sondern auch mit sich selbst. Das Spiel mit der Unsichtbarkeit wird zur Bühne für psychologische Feinheiten und strategische Selbstinszenierung. Verbergen ist in diesen Formaten nicht nur ein Spielzug, sondern ein Teil der Rolle, die man spielt. Es ist Teil des sozialen Codes, Teil des Erzählens, Teil der Beziehungsgestaltung.

Fazit: Verbergen als kulturelle Bewegung zwischen Präsenz und Absenz

Entscheidend ist: Das Verbergen im Spiel ist nicht nur ein Schutzmechanismus, sondern eine produktive Quelle für Kreativität, Beziehung und Narration. Es eröffnet Möglichkeitsräume – sowohl strategisch als auch erzählerisch. Was verborgen ist, kann überraschend auftauchen, sich transformieren oder scheitern. Verbergen ist also keine Leerstelle, sondern eine aufgeladene Zone des Noch-nicht, Möglich-und-Vielleicht. Der Moment des Entbergens – oft kathartisch – bringt Klarheit, aber auch das Ende des Spiels. Denn mit dem Sichtbarwerden endet oft die Spannung, das Rätselhafte, das Versprechen. In der Gesamtschau zeigt sich: Verbergen ist eine spezifisch menschliche Kulturtechnik, die eng mit Sprache, Symbol und sozialer Interaktion verbunden ist. Tiere verstecken – Menschen verbergen. Und sie spielen mit dieser Differenz. Vom Augenbedecken des Kleinkinds bis zur ausgefeilten Rollenmaskerade im Rollenspiel verläuft eine kulturelle Linie, die sich durch alle Altersgruppen und Spielformen zieht. Das Spiel mit dem Unsichtbaren ist dabei kein Mangel, sondern eine Einladung zur Interpretation, zur Suche, zur Bewegung im Bedeutungsraum. Wer spielt, verbirgt – und wer verbirgt, spielt. Das Unsichtbare ist dabei nicht das Gegenteil des Sichtbaren, sondern seine Voraussetzung: Nur wer weiß, dass etwas fehlt, kann sich auf die Suche machen. Zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit entsteht so ein Spannungsfeld, das nicht nur das Spiel, sondern auch unsere Kultur in Bewegung hält.


Literatur:

Caillois, Roger. Man, Play and Games. Urbana: University of Illinois Press, 1961.

Garfield, Richard; Gutschera, Robert; Elias, Skaff. Characteristics of Games. Cambridge, MA: MIT Press, 2012.


Basierend auf seinen Erinnerung im Diskurs mit Veronika Kocher, Simon Huber und Simon Allmer, ist dieser Beitrag von Chat-GPT-4 auf Basis der Struktur bisheriger Transkripte der Ludologischen Symposien von Ivo Herzl generiert worden und basiert auf Abänderungs- und Erweiterungs-Prompts, sowie selbst geschriebenen Edits von Ivo Herzl, der am 28. März 2024 dieses Thema – leider ohne Audio-Mittschnittvortrug.


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