3. Enquete vom 7. März 2024
Simon Huber eröffnet mit der These, dass „Werfen“ keine offensichtliche Kulturtechnik ist – im Gegensatz zu Techniken wie Schreiben oder Zeichnen, die sich selbst referenziell darstellen lassen (man kann über das Schreiben schreiben). Die Kernfrage lautet: „Kann man das Werfen werfen?“ – also: Lässt sich die Handlung des Werfens selbst durch Werfen ausdrücken?

Das Werfen: Zwischen Glück, Geschick und kultureller Bedeutung
Werfen ist eine scheinbar banale Geste: Ein Objekt wird aus der Hand gelassen und folgt einer Flugbahn. Doch betrachtet man das Werfen als elementare Kulturtechnik des Spiels, zeigt sich schnell, dass es viel mehr ist: eine symbolische, ästhetische und kulturell tief verankerte Handlung. Basierend auf dem Vortrag von Simon Huber im Rahmen des Symposiums zu elementaren Kulturtechniken des Spielens untersucht dieser Beitrag die vielen Dimensionen des Werfens im Spiel und darüber hinaus.
Kann man das Werfen werfen? Eine Ausgangsfrage
Simon Huber eröffnet seinen Vortrag mit einer paradox anmutenden Frage: „Kann man das Werfen werfen?“ Damit thematisiert er ein Grundproblem kulturtechnischer Selbstreferenz: Während Schreiben über das Schreiben möglich ist, scheint das Werfen sich einer solchen Reflexion zu entziehen. Und doch liegt genau darin der Schlüssel, das Werfen als Kulturtechnik ernst zu nehmen – eine, die nicht nur Handlung, sondern Bedeutung stiftet.
Werfen zwischen Glück und Geschick
Werfen operiert im Spannungsfeld zwischen Zufall und Kontrolle. Zwei Pole lassen sich herausarbeiten:
- Vertikale Vektoren wie Würfeln symbolisieren das Glück: Der Würfel wird geworfen, das Ergebnis ist unvorhersehbar.
- Horizontale Vektoren wie Zielwerfen (z. B. Dart, Shuffleboard) verlangen Geschicklichkeit: Der Wurf soll ein konkretes Ziel treffen.
Zwischen diesen Polen bewegen sich viele Spiele, wie etwa Backgammon, wo Würfelglück und strategisches Ziehen miteinander verwoben sind. Das Werfen wird damit zu einem kulturellen Ort, an dem Kontingenz verhandelt wird – also das, was passieren kann, aber nicht muss.
Das Bild des Spiels: Der “Orbis Pictus”
Huber nutzt den “Orbis Pictus” von Comenius (1658) als historische Referenz. In der Bilddarstellung des Kapitels 134 (“Ludus”) sind Spiele mit Würfeln, Spielbrettern, Schießtäfelchen und Schach dargestellt. Besonders interessant ist die räumliche Organisation:
- Glück fällt “von oben herab” (Würfel).
- Geschick operiert “in der Waagerechten” (z. B. Shuffleboard).
Das Werfen ist hier die gemeinsame Bewegung beider Spielarten – es verbindet Zufall und Technik. Die frühneuzeitliche Darstellung macht sichtbar: Werfen ist mehr als Bewegung. Es verortet den Spieler im Raum und schreibt ihm eine Rolle zu – sei es als Spieler, als Akteur des Zufalls oder als Meister des Geschicks.
Werfen in digitalen Spielen: Das Beispiel Pokéball
Ein Höhepunkt von Hubers Vortrag ist die Analyse des Pokéballs aus der Pokémon-Reihe:
- Im Spiel wird das Pokémon durch einen Ball eingefangen – ein symbolischer Wurf.
- In der Realität des Spiels (besonders bei Pokémon Go) schnippt der Spieler über den Touchscreen – ein haptisches Erlebnis.
- Doch technisch entscheidet ein Algorithmus über Erfolg oder Misserfolg.
Klaus Pias beschreibt dieses Phänomen als ästhetisierte Kontingenz: Spiele simulieren Zufall, obwohl sie vollständig programmiert sind. Das Werfen wird zur illusionären Entscheidung, ein symbolischer Akt mit echter Wirkung – der Spieler fühlt sich als Handelnder, obwohl das Ergebnis bereits vorbestimmt ist.
Der Pokéball ist dabei nicht nur ein Objekt, sondern auch ein Zeichen: für Zugehörigkeit (Fan-Kultur), für Besitz (ich fange das Pokémon) und für Handlungsmacht (Agency).
Werfen als Entscheidung
Werfen ist eine Form des Loslassens – eine Handlung mit Punktcharakter:
- Wie beim klassischen Satz “Alea iacta est” (die Würfel sind gefallen), steht der Wurf für Entscheidung ohne Rückkehr.
- Ab dem Moment des Loslassens ist der Verlauf nicht mehr kontrollierbar.
Diese Irreversibilität macht das Werfen zu einem liminalen Akt: Es markiert Übergänge, Entscheidungen, Brüche. Im Spiel ist das Werfen oft der Anfang einer Dynamik, deren Ende offen ist – und gerade darin liegt seine kulturelle Kraft.
Die kulturelle Tiefe des Werfens: Geschichte und Anthropologie
Werfen ist tief in der Menschheitsgeschichte verankert:
- Als Jagdtechnik (Speere, Schleudern)
- Als zeremonielle Praxis (z. B. das Ballspiel der Azteken mit Kautschukbällen)
- Als kindliches Spiel (Blätter werfen, Schneebälle, Murmeln)
Schon Kinder erfahren das Werfen als Ausdruck von Freiheit, Kraft, Kontrolle und Überraschung. Das Werfen durchläuft eine Transformation:
- Paläolithisch: Verteidigung und Nahrung
- Ludisch: Kindliche Exploration und Freude
- Spielerisch-strukturiert: Zielwurf, Wettkampf, Punktesystem
- Digital-symbolisch: Interaktive Simulation, z. B. Pokéball
In jeder dieser Phasen wird das Werfen ästhetisiert, ritualisiert oder symbolisiert.
Werfen als Designprinzip in Spielen
Spielentwickler nutzen das Werfen gezielt zur Vermittlung von Spannung, Zufall und Beteiligung:
- Würfeln als unkontrollierbare Ereignisquelle
- Skill-based Wurfmechaniken wie z. B. in Angry Birds oder Pokémon
- Simulation von Risiko: Der Moment des Wurfs ist emotional aufgeladen
Zentral ist die Frage: Wer hat wann wie viel Kontrolle? Ein gutes Spieldesign erlaubt, dass der Spieler das Gefühl hat, Einfluss zu nehmen – auch wenn dieser Einfluss programmiert oder begrenzt ist.
Werfen im Vergleich: Input vs. Output-Zufall
In der Spieldesign-Theorie unterscheidet man zwischen:
- Input-Zufall: Der Spieler handelt, das Spielsystem reagiert (z. B. beim Pokéballwurf: ob der Ball das Pokémon trifft)
- Output-Zufall: Das Spiel gibt ein Ergebnis vor (z. B. Würfeln und dann überlegen, was man mit dem Ergebnis tut)
Das Werfen lässt sich oft nicht klar zuordnen – es überlagert beide Formen. Diese Unbestimmtheit macht es reizvoll: Der Wurf ist sowohl Aktion als auch Reaktion, sowohl Können als auch Glücksspiel.
Fazit: Werfen als symbolische Kulturtechnik
Werfen ist mehr als eine körperliche Bewegung. Es ist ein symbolischer Akt, der über seine Materialität hinausweist:
- Es schafft Bedeutungen, markiert Entscheidungen und verhandelt Kontrolle.
- Es verbindet Spieler mit Raum, Objekt und System.
- Es ist der Moment, in dem das Spiel beginnt – und sich seine eigene Logik entfaltet.
Simon Huber hat mit seinem Vortrag eindrucksvoll gezeigt, dass Werfen eine grundlegende, komplexe Kulturtechnik ist. Sie begleitet den Menschen seit Jahrtausenden – in Jagd, Ritual, Kinderspiel und Game Design – und bleibt auch in der digitalisierten Gegenwart eine zentrale Geste der Ungewissheit, Hoffnung und Handlung.
Dieser Beitrag basiert auf dem Transkript des Vortrags von Simon Huber im Rahmen des Ludologischen Symposiums am 7. März 2024 – zusammen gefasst von Chat-GPT4.

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