20. Enquete vom 8. Jänner 2025
Wenden ist eine leise Geste. Oft kaum sichtbar, manchmal beiläufig, selten spektakulär – aber tiefgreifend in ihrer Wirkung. In Spielen steht das Wenden für Zustandswechsel, Informationsgewinn, Entscheidung. Klemens Franz widmete diesem Akt einen facettenreichen Vortrag beim Ludolog-Symposium und zeigte, warum das Wenden eine elementare Kulturtechnik des Spiels ist. Dieser Beitrag folgt seiner Argumentation und stellt das Wenden in seiner stillen Macht ins Zentrum.
Was passiert eigentlich beim Wenden?
Wenden bedeutet, eine Seite gegen eine andere zu tauschen. Im Spiel geschieht das ständig:
- Eine Karte wird umgedreht und offenbart ihren Inhalt.
- Ein Plättchen wird gewendet und zeigt nun eine neue Funktion.
- Eine Sanduhr wird umgedreht – Zeit beginnt (wieder).
Das Wenden ist eine Schaltgeste – es verändert Spielzustände, aktiviert Prozesse oder bringt Wissen hervor.
Die Sanduhr: Zeit durch Wenden
Ein zentrales Beispiel im Vortrag von Klemens Franz ist die Sanduhr:
- Erst durch das Wenden wird sie aktiv.
- Sie repräsentiert Zeit, ohne sie zu messen.
- In Spielen wie Time & Space oder Kitchen Rush wird die Sanduhr zur Taktgeberin.
Das Wenden hier ist der Beginn eines Prozesses – sichtbar, eindeutig, unumkehrbar (bis zum nächsten Wendepunkt).
Informationszugang durch Wendung
Wenden macht Dinge sichtbar. Das ist besonders relevant in Spielen mit verdeckten Informationen:
- Memory: Karten werden gewendet – was sichtbar wird, ist entscheidend.
- Kai Awase (japanisches Muschelpaarspiel): Zwei Hälften, ein Motiv – sichtbar erst beim Wenden.
- Legacy-Spiele: Karten, Umschläge, Plättchen werden gewendet, um neue Inhalte freizuschalten.
Das Wenden ist hier ein Akt der Enthüllung – vergleichbar mit dem Öffnen eines Buches oder dem Lüften eines Vorhangs.
Wenden als Zustandsanzeige
Viele Spiele verwenden das Wenden nicht zur Enthüllung, sondern zur Zustandsanzeige:
- Othello: Eine Wendung verändert Zugehörigkeit (weiß/schwarz).
- Paleo, Patchwork: Plättchen werden gewendet, um anzuzeigen, dass sie verbraucht sind.
- Star Wars: Rebellion: Charakterkarten werden gewendet, um Aktivität zu markieren.
Das Wenden ist hier kein Zugang zu Neuem, sondern ein Marker im System – ein eleganter Mechanismus zur Ressourcenverwaltung und Zustandsverfolgung.
Verbergen durch Wenden: Rückseite als Absicht
Manchmal ist nicht die gewendete Seite entscheidend, sondern die Rückseite selbst:
- Bei verdeckten Punktekarten wird die Wertung erst durch spätes Wenden aufgedeckt.
- Manche Spiele arbeiten mit doppelten Bedeutungen: Vorderseite = Aktion, Rückseite = Reaktion.
- In Versteckspielen oder bei geheimen Rollen dient das Wenden der Unsichtbarmachung.
Das Wenden wird hier zur Narrativtechnik – es strukturiert Spannung, Geheimnis, Enthüllung.
Spiegeln, Drehen, Wenden: Verwandte Techniken
Wenden ist nicht gleich Drehen – aber es gibt Berührungspunkte:
- In Spielen wie Patchwork müssen Plättchen nicht nur gedreht, sondern auch gespiegelt werden.
- Die Differenz liegt in der Achse: Wenden über eine Kante, Spiegeln über eine Fläche.
- Beide Techniken verändern Orientierung und Bedeutung – sie sind räumliche Manipulationen mit semantischer Folge.
Franz betont: Wenden erzeugt neue Lesbarkeit, Spiegeln neue Form – beides verändert die Spielwelt.
Wenden als kulturelle Praxis
Auch jenseits des Spiels ist Wenden präsent:
- Buchseiten, Kleidungsstücke, Bratgut – das Wenden ist ein Alltagsphänomen.
- Es steht oft für Rückkehr, Neubeginn oder Perspektivwechsel.
- In der Sprache: “das Blatt wenden”, “eine Wende einleiten”, “jemandem den Rücken kehren”.
Das zeigt: Wenden ist eine symbolisch aufgeladene Geste, die nicht nur bewegt, sondern auch interpretiert wird.
Fazit: Wenden als unscheinbare Schlüsseltechnik
Wenden ist eine stille, aber wirkungsvolle Kulturtechnik:
- Sie erzeugt Bedeutung, markiert Veränderung, öffnet Wissen.
- Sie strukturiert Spielverläufe, schafft Zustände und erzeugt Dramaturgie.
- Sie ist intuitiv, vertraut – und dabei hochpräzise in ihrer Wirkung.
Klemens Franz hat gezeigt, wie kraftvoll das scheinbar Unscheinbare sein kann. Wer wendet, verändert – auf dem Spielbrett wie im Denken.
Dieser Beitrag basiert auf dem Vortrag von Klemens Franz im Rahmen des Ludolog-Symposiums am 8. Januar 2025.
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