Maskieren

Geschrieben von Simon Allmer für das Ludologische Symposium:

Was ist eine Maske?

Eine Form welche zumindest vor den Augen, jedoch über das ganze Gesicht hinweg getragen werden kann und eine symbolisch kulturelle und/oder versteckende Funktion erfüllt. Atemschutzmasken oder Motorradhelme sind nach dieser Auffassung keine Masken, da abgesehen von durchsichtigen Visieren welche somit nicht das Gesicht Maskieren, deren Tragen sowohl vom Erbauer wie auch vom Benutzer praktischen Nutzen hat. Nun könnte man argumentieren dass ein Hells Angels Treffen in Motorradausrüstung mehr einem Ritual gleicht in welchem die Teilnehmer, ähnlich einem Karneval, sich selbst zur Schau stellen unabhängig von der Funktion. Die weitere Abgrenzung liegt “im selbst”. Die Motorrad Verkleidung stellt den Träger dar während die Karnevalsverkleidung den Träger, im “Spiel” des Rituals, zu einer anderen Person macht. Was wäre nun wenn eine reguläre Person zu Halloween als verunglückter Motorradfahrer mit blutverschmriertem Visier (welches das Gesicht abdeckt) sich verkleidet? Ist der Helm nun eine Maske? Um auch diese Option auszuschließen würde ich weiter argumentieren, dass es sich bei Kulturmasken immer um Darstellungen von Gesichtern handeln muss. Maskieren ist das Verkleiden des Gesichts. Über die Kleidung sehen wir bei Masken auch Ähnlichkeiten zur Mode da sie sowohl dem Versteck als auch dem Ausdruck des Trägers dienen. Ihre Macht kann mitunter noch größer sein da die Emotionen verdeckt oder künstlich erzeugt werden. Im Vergleich zur Mode die sich nach jedem Trend ändert, handelt es sich bei den Masken in Ritualen um “eingefrorene Kultur”. Menschen aus Fleisch und Blut werden zu unsterbliche Archetypen und führen den von ihnen erwarteten Ablauf einer Zeremonie aus. Ich würde diese Funktion als “das Wir in der Maske” bezeichnen. Der Anthropologe Claude Lévi-Strauss hat hierzu die Maskenrituale mehrerer Indianergruppen welche alle der Sprachfamilie der Salish angehören und im Nordwesten der USA leben beobachtet. Dabei gibt es Festland Indianer, Küstenindianer und Inselindianer welche die Entstehungsgeschichte mit der Swaivé Maske mit unterschiedlichen Storylines oder in unterschiedlicher Reihenfolge erzählen. In einer Version wird die Maske aus dem Ozean gefischt, während sie in der anderen vom Himmel fällt. Eines der Kernthemen, die Lévi-Strauss behandelt, ist der Begriff der Transformation, ein gemeinsames Motiv sowohl in Masken als auch in den Mythen, die sie umgeben. Masken ermöglichen die Transformation der Identität des Trägers und werden oft in Ritualen verwendet, die Übergänge markieren – sei es in Form von Altersinitiation, Jahreszeitenwechsel oder Krisenmomenten. Das Tragen einer Maske ist eine vorübergehende, aber kraftvolle Neukonfiguration der Identität und stellt einen Moment dar, in dem sich die menschlichen Grenzen erweitern und die Geisterwelt einschließen.

Diese transformative Fähigkeit deutet auf eine Sicht des Selbst hin, die mit der Gemeinschaft und dem Kosmos verbunden und nicht davon isoliert ist. Lévi-Strauss‘ strukturalistischer Ansatz identifiziert Gegensätze – wie Leben/Tod, Mensch/Geist und männlich/weiblich –, die die Mythen und die den Masken zugeschriebenen Bedeutungen strukturieren. Diese Gegensätze treten in allen Kulturen auf und Lévi-Strauss argumentiert, dass sie für die menschliche Wahrnehmung von grundlegender Bedeutung sind. Die Masken lösen diese Spannungen visuell und erzählerisch auf und bieten eine Möglichkeit, Gegensätze zu vermitteln und ein symbolisches Gleichgewicht zu erreichen. Beispielsweise entwerfen die Küstengruppen ihre Masken oft mit Merkmalen, die tierische und menschliche Eigenschaften vermischen (Swaihwé mit Fischzunge), die Dualität zwischen Zivilisation und Natur verkörpern und den Glauben an die Verbundenheit des Menschen mit der natürlichen Welt widerspiegeln. In dem Buch gibt es auch Masken welche nach dem Aufklappen eine weitere Maske offenbaren. Dies wäre dann die Rekursion welche das Maskieren eindeutig zur Kulturtechnik macht. Mich erinnert dies an Platons Höhlengleichnis, würde jedoch sagen, dass man mit jeder Ebene nicht näher zur Wahrheit kommt sondern auch tiefer in die Höhle hinabsteigen kann. Selbst wenn man auf der Hautebene angekommen, also aus der Höhle gestiegen ist, sind die gezeigten Emotionen vielleicht nur ein Schauspiel von dem der Schauspieler selbst nur unbewusst Kenntniss nimmt.

Was mir in meinen Recherche aufgefallen ist, ist dass viele Maskenrituale wie die eben beschriebenen durch die monotheistischen Religionen ersetzt wurden. Als letzte lebende Beispiele sind das kommerzialisierte Halloween (auf das keltische Samhain zurückgehend) und der alkoholisierte Perchtenlauf welcher von einem heidnischen Ritual in die katholische Kirche inkorporiert wurde. Möglicherweise ist es die Macht die von einer Maske ausgeht welche zu unheimlich für Priester und Schamanen ist. Da ist es sicherer die Wege des Herrn als unergründlich abzutun anstatt sie nachzuspielen und, bei falscher Interpretation, ein Nachleben in der Hölle zu riskieren. Neben dem Wir in der Maske, gibt es auch “das Ich in der Maske”. Hier grenzt sich der Träger durch die Wahl eines, meist aus der Popkultur abgeleiteten Motiv von der vermeintlichen Leitkultur ab und informiert seine Mitmenschen welcher Fangemeinde oder Subkultur er sich zugehörig fühlt. Das moderne Phänomen der Cosplayer, deren natürlicher Lebensraum die Comic Convention ist, legt Wert auf die authentische Nachahmung von Charakterzügen. Moderne Mythenerschaffer wie die Walt Disney Company verstehen, dass der lineare Film nur ein Teil des Werts der Intellectual Property ist und diese im Spiel der Nachahmung (Black Panther Maske) oder durch interaktive spielerische Erlebnisse (Disneyland) voll ausgeschöpft werden kann. Näher bei der Ludologie finden sich Live Action Roleplayers. Das Schauspiel, auch zu finden im Cosplay, wird erweitert um komplexe Spielmechaniken. Beide Formen des Ichs und Wirs können verschmelzen. So lässt die traditionelle Herstellung von Krampusmasken Raum für individuelle Variation zu. Handwerker und Träger sind oftmals ein und dieselbe Person. Interessant bei diesem Ritual ist, dass die Maske tatsächlich einen praktischen Zweck erfüllt: das Erschrecken und Auspeitschen von Kindern wie wir alle aus eigener Erfahrung bestätigen können.

Abstrakte Formen von Maskieren: Zwar definierte ich zu Beginn die Kulturmaske sehr eng jedoch lassen sich verwandte Phänome in denen es mehr um das Maskieren als um die Maske selbst geht auch anderswo beobachten.Veränderungen am Körper durch Vernarbung, Nackenpanzer oder plastische Chirurgie erfüllen ähnlich Prozesse und machen aus der, scheinbar festgelegten Natur eine formbare Kultur. Im Vergleich zur temporären Maske sind solche Eingriffe permanent. Je weiter sich eine Person diesen “unnatürlichen” Prozessen unterzieht, desto mehr tritt ihr wahrer Charakter im Sinne von individuellem Selbstausdruck oder Gehorsam (gesellschaftlicher Zwang) zum Ausdruck. Masken beinhalten fast immer ein narratives Elements. In der Ludologie kommen sie daher anstelle von Brettspielen, eher bei “komplexen” Aufführungen (Live Action Roleplaying) oder Videospielen zum Einsatz.

Als Paradebeispiel für Masken im Videospiel können wir uns The Legend of Zelda: Majoras Mask ansehen. Erschienen im Jahr 2000 nach dem Genre verändernden Erfolg von Ocarina of Time folgt man hier der Geschichte des Horrorkids welche Majoras Maske trägt und durch dessen Kraft den Mond auf Kollisionskurs zur Erde setzt. Der Held hat drei Tage Zeit dies zu verhindern. Masken geben dem Protagonist, ähnlich der Indianererzählungen, neue Fähigkeiten welche direkt in die Spielmechanik integriert sind.

Drei Arten von Masken lassen sich feststellen. Zum einen, funktionale Masken wie die Bombenmaske welche, einem wie zu erwarten, die Fähigkeit geben Bomben zu legen. Weiters gibt es traditionelle Masken die sich von den Wesen in Termina ableiten. Setzt man sich eine Zora Maske auf, kann man nicht nur schnell durch das Wasser tauchen sondern wird auch von den Fischmenschen als dem Stamm zugehörig empfunden. Ebenso verhält es sich mit der Goronenmaske durch die man sich in die Kultur des Bergvolks integrieren kann. Majoras Mask geht noch einen Schritt weiter. Nachdem Link, oder der Spieler der direkt angesprochen wird im Finale auf dem Mond ist um das Horrorkid zu besiegen, löst sich die Maske vom Träger da es diesen für schwach emfpindet und gibt sich als Individuum zu erkennen welches im letzten Kampf besiegt werden muss. Die vollendete Maske. Von der Black Panther Maske bei Disney gibt es auch eine sammelbare, hochwertige Version die auf einem Ständer fixiert ist und keinen weiteren Zweck erfüllt. Losgelöst vom Ritual bleibt sie nur vollendet in der Statik. Man könnte ihr sogar die Eigenschaft Maske absprechen da maskieren unmöglich, oder nicht vorgesehen ist. Masken sind also statische Objekte welche für kinetischen Ausdruck benutzt werden können.

Aber zurück zum Spiel: Durch Programmierung lässt sich der Erhalt von Fähigkeiten ohne physikalischen Bedenken, nach dem Vorbild der klassischen Erzählungen umsetzen. Im Gesellschaftspiel wird dies durch direkte sensorische Einschränkung oder Erweiterung sowie der Vorstellung der Mitspieler ausgeglichen. Zwar wäre der Versuch einer authentischen Maskierung (ähnlich Live Action Roleplaying) möglich würde jedoch den Aufwand des Spiels im spielerischen Sinne sprengen. So wird blinde Kuh nicht gespielt indem der Spieler im ganzkörper Anzug aus Tierleder und Fell auf vier Beinen und mit Säure verätzten Augen seine Mitspieler fängt. Stattdessen reicht eine Augenbinde aus. Maskieren wird zu verdecken. Ebenso kommen die Masken nur imaginär bei dem Spiel Werwolf vor da eine bildliche Darstellung das Ende vorweg nehmen würde. Jeder Spieler sieht durch die eigene Maske ohne Charakterzüge des Wolfes nachzuahmen. Das ihn dies verraten würde ist nicht nurdem Werwolf Spieler sondern auch so manchem Grimm Wolf bekannt welcher sich deshalb als Großmutter oder Geißlein verkleidet. In diesem speziellen Beispiel wäre also die Inauthentizität tatsächlich authentisch. Was wäre nun wenn man die Vorzüge des Videospiels mit den bisher Eingeschränkten Gesellschaftspielen kombiniert. Es wäre durchaus vorstellbar eine Augmented Reality Version von Blinde Kuh und Werwolf zu erschaffen in welchem vor den Augen der Mitspieler tatsächlich eine Kuh oder, nach dem Auffliegen der wahren Identität, ein Werwolf steht. Fans von Popmusikern welche das kostspielige Stechen eines Tattoos ihres Stars spätestens nach dem nächsten Skandal bereuen, könnten temporäre Virtuelle Masken oder Avatare anlegen um Trägern anderer Virtual Reality Brillen über ihren Musikgeschmack zu informieren. Dies würde der, soziophoben Generation Z so manches Gespräch erleichtern oder, abhängig vom Geschmack, gänzlich ersparen. Augmented und Virtual Reality Spiele können durch das direkte Tragen der Maske noch immersiver werden. Wenn man in einem Fantasy Spiel eine verfluchte Maske aufsetzt würde das Sichtfeld verschwommen werden während eine Adlermaske, zehnfachen Zoom ermöglicht. Erstmals würden Kulturmasken sinnliche Fähigkeiten erweitern.


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