Stapeln

STAPELN

13. Enquete vom 9. Oktober 2024

Das Stapeln/Staking ist überall bei Spielen anzutreffen: Karten, Chips, Steine türmen sich auf, werden ab- und aufgehoben und fallen wieder um. Ein Stapel bringt Ordnung, Übersichtlichkeit und Repräsentation mit sich. Ivo Herzl eröffnet damit die zweite Staffel unserer ludolodischen Enquetes.

📚 Stapeln als elementare Kulturtechnik des Spielens

Anhand einer kleinen Geschichte möchte ich eine persönliche Erfahrung während meines Architekturstudiums schildern, wie ich die archaische Macht des Stapelns erfuhr. Ich war im Sommer auf einer griechischen Insel und entdeckte eine Art Höhle, die einmal eine antike Zisterne war. Dessen Boden war voll von Steingeröll, und machte mich daran dort etwas aufzuräumen um mir dort einen Platz einzurichten. Während dem Aufräumen fing ich bald an die umliegenden Steine intuitiv in 3 verschiedene Richtungen zu werfen und zwar je nach Qualität dieser Steine: Groß, klein und flach. Doch aus dem Erkennen der verschiedenen Qualitäten und dem Sammeln danach entwicklte sich spielerisch ein Konzept um das Alles wieder in eine neue Form zusammen zu setzen. Danach häufte ich zuerst die großen Steine auf, die ein Fundament von etwas werden sollten, das noch nicht klar war. Mit den flachen Steinen fing ich dann an diesen Haufen einzugrenzen und konnte dank ihrer inherenten Qualität der Flachheit anfangen sie geordnet und strukturiert zu stapeln. Ich baute einen Zylinder und füllte ihn dann mit den kleinen Steinen aus. Eine hervor ragende stabile Feuerstelle war gebaut. Und aus dieser wilden Höhle war ein Tempel geworden.

Damit war klar dass der Stapel ein höheres Ordnungssystem darstellt als der Haufen, die von der Qualität der einzelnen Elemente abhängig war. Und während auch einige Tiere (z. B. Eichhörnchen) häufig Haufen bilden, ist das gezielte Stapeln ein kultureller Akt des Menschen. Doch ab wann können wir einen Stapel bauen? Ist die Flachheit der einzelnen Teile wirklich Vorraussetzung dafür? Nein, denn ein Stapel kann auch aus Stäben erstellt werden bzw. aus Staffeln. “Stab”, “Staffel”, “Stapel”, bzw. engl. “Staff”, “Stick” und “Stack”. Auch wenn die Worte ähnlich klingen, so sind die etymologischen Zusammenhänge nicht ganz klar. Die funktionalen Zusammenhänge können wir aber sehr wohl herstellen. Unsere archaischen Stapel waren wohl mit hoher Wahrscheinlichkeit Holzstapel, lange bevor wir als Menschheit sesshaft wurden. Wir sammelten Holz um Feuer zu machen und wir stapelten es zur leichten Greifbarkeit. Womöglich konnten wir es bald auch zu Bündeln binden um es zu transportieren, aber das ist ein anderer Erzählstrang.

Die Eigenschaft eines Stapels ist eindeutig seine Höhe, seine Vertikalität. Man benötigt mindestens zwei Objekte um eine Stapel erstellen zu können, und die Aufgabe besteht darin das eine über dem anderen mit etwas Vorsicht zu platzieren. Wenn wir uns ins Bewusstein rufen, dass eine Flachheit in der Natur äußerst selten vorkommt, bilden flache Objekte eine eigene intrinsische Qualität und einen besonderen Wert, sowie einen höheren Grad an Spielbarkeit bzw. Ludizität. Eine ursprüngliche spielerische Form wird somit das Balancieren von Objekten übereinander sein, und das Stapeln eine ludifizierte und weiterentwickelte Form hiervon. Wir kennen den Flow und Fokus den wir spüren wenn wir am Strand versuchen einen Stein über dem Anderen zu stapeln und zu balancieren. Mit jedem erfolgreich gestapeltem Stein steigt auch die Schwierigkeit den nächsten daruf zu bekommen, ohne zusammen zu brechen. Mit jedem Level steigt somit das Schwierigkeitslevel. Ein sehr archaisches Spiel. Der Reiz des Stapelns als spielerische Form liegt also auch im möglichen Kollaps, und der Moment des Scheiterns ist essenzieller Teil der Spannung. Er motiviert auch im Lernprozess immer und immer wieder von vorne anzufangen.

Dieses Balancier/Stapel-Spiel hat keinen ordnenden Charackter sondern repräsentativen. Wer kann mehr? Wer kann höher? Wie lange hält dieser Turm? Wir befinden uns an der visuellen Repräsentation von Können und Macht. Der Ruhm mehr geben und machen zu können als Zeichen von sozialem Status ist ein archaisch kulturelles Spielziel, das Johan Huizinga mit den Beobachtungen des Potlatchs (Huizinga, 1936) unter nordamerikanischen Stammesgesellschaften beschrieben hat. Hier wird ein benachbarter Stamm zu opulenten Festlichkeiten eingeladen, das nächstes Jahr mit noch größeren Festlichkeiten zu beantworten ist. Er beschriebt den Wahn, der manchmal zu beobachten war, sich hier gegenseitig ständig zu übertrumpfen und sogar massenhaft Tiere zu opfern, die gar nicht verzehrt werden können, einfach um zu beweisen, dass es der Status hergibt. Es entzieht sich wirtschaftlichem Nutzen und es ist einer von Huizingas viel zitierten Beschreibungen seine Idee des Spiel-Elements von Kultur zu veranschaulichen. Um dem gesellschaftlichen Gesichtsverlust zu entgehen, gehen manche Mensche weite Wege dies sogar vorzutäuschen. Als Ausdruck für eine Person, die vorgibt mehr zu haben oder zu sein, kennen wir den Ausdruck des “Hochstaplers”.

Dieses Stapeln als Machtbeweis kennen wir im Englischen als “Staking”, als Einsatz den man gewillt ist zu verlieren. Die etymologische Wurzel scheint aus dem Alt-Englischen “staca” zu kommen, ein Stock der in die Erde geschlagen wurde um Gebiet zu markieren, und auch um somit etwas als Garantie zu belegen. Auch wenn das Wort ähnlich dem “Stacking”, also dem Stapeln ist, sind auch hier die etymologischen Zusammenhänge nicht ganz klar. Aber im Pokern beispielsweise sehen wir den spielerisch-funktionalen Zusammenhang ganz klar. Wer im Spiel bleiben will muss mitziehen können und den gegnerischen Stapel zumindest angleichen oder überbieten (bzw. überstapeln oder -staken) können. An einem Stapeln mit identen Teilen gleicher Größe – in diesem Fall Pokerchips – können wir leicht die Vergleichbarkeit ablesen indem beide nebeneinander gestellt werden. Dies geht nicht mit Haufen. Selbst wenn die einzelenen Elemente ident wären – wie zB. Orangen – so müsste man dennoch jeden einzelnen Haufen durchzählen und einen neuen Haufen aus dem Haufen machen um die Anzahl vergleichen zu können. Dank Stapeln brauchen wir weder zählen, noch rechnen, sondern sehen auf einen Blick welcher größer ist, oder ob beide gleich sind.

Von einem Stapel kann ich nur oben abheben. Ein Element, zwei, oder so viele wie ich tragen kann. Möchte ich daraus ziehen droht der Kollaps. Wer aus einem Kartenstapel ziehen möchte, verwandelt den Stapel in einen Fächer, wodurch die Ordnung von der vertikalen in die horizontale verändert wird. Da nur das oberste Objekt eines Stapels direkt erreichbar ist, ist dieser – laut dem Bestseller The life-changing magic of tidying up (Kondo, 2011) – ein Unding in der Organisation. Ein Stapel aus T-Shirts wird dazu führen, dass die untersten selten verwendet, und dadurch entwertet und gering geschätzt werden. Horizontalität ist in der Organistion viel dienlicher. Bücher können leicht aus ein Regal gezogen werden und wieder an ihren Platz zurück gestellt werden. Ein Bücherstapel hingegen repräsentiert was Alles gelesen wurde, und wie belesen, gebildet, intelligent man dadurch vorgibt zu sein. Ein Stapel dient sonst lediglich dem Verstauen, wesewegen es in der Logistik Anwendung findet. Kisten werden auf Palletten gestapelt und diese wiederum können im Hochregal gestapelt werden. Eine geschichtlich junge Entwicklung von praktisch hohem Wert, jedoch von scheinbar wenig von kulturellem.

Mit der Fusion des Stapelns und dem Zusammensetzen schufen wir neue Zivilisationsstufen, denn ohne Stapeln, keine Mauern. Bevor wir also anfingen diese zu bauen, mussten wir also schon längst das stapeln so weit kultiviert haben, dass wir uns auf die Suche nach flachen Steinen machten und selbst anfingen diese her zu stellen. Die Abgrenzung vom Stapeln zum Zusammensetzen liegt nun aber vor sobald einzelne Elemente zu einem Ganzen verschmelzen. Denn ein Stapel liegt nur mehr dann vor, wenn die einzelnen Elemente noch vorhanden und abhebbar sind. Unabhängig von praktischen Holzstapeln begeleitet uns das kulturelle Stapeln mit spielerischen Steintürmen oder in Form von hohen Einsätzen wohl also schon länger als die sesshafte Kultur. Das sich das Stapeln im kulturellen und spielerischen Sinn also auch in unserer Baukunst ausdrückt ist daher nicht verwunderlich. Heutige Studien zeigen, dass ab einer gewissen Höhe an Bauwerken kein Mehrwert an Flächenausnutzung ergibt und lediglich der Erschließung mit Treppenhäusern und Liftkernen dient. Dennoch stapeln wir Stockwerke und Höhenmeter, um dem Status Ausdruck zu geben. Ein perfektes Beispiel sind die so genannten Geschlechtertürme in mittelalterlichen Stadstaaten Europas, die von Handelsfamilien dominiert waren wie z. B. Bologna, Florenz und Genua. Diese Türme dienten wohl lediglich der Demonstration von Familienstatus im Stadtbild – nicht der Raumnutzung. Wer am Höchsten bauen kann, verdient die meiste Anerkennung. Ein kurzer Blick in die Geschichte der Türme Bolognas sowie ein Anblick der schiefen Türme Garisenda und Asinelli ist eine kurze Reise wert. Viele von ihnen sind im Laufe der Zeit zusammen gefallen oder wurden präventive geschliffen, aber wie wir wissen ist kaum etwas so spektakulär wie der Kollaps von Türmen, wie die Terrorattacken auf die Twin Towers am 9.11.2001 der Welt gezeigt haben. Im Beisein einer menschlichen Katastrophe kam es zu einem Kollaps akkumlierter Finanzmacht und dem Statusverlust einer Weltmacht, die als unantastbar galt. Ein wahrer Ikonoklasmus.

Ein Stapel der spektakular im Kollaps endet, wurde im balancierten Steinstapel thematisiert. Doch beim Spielen mit Jenga (Hasbro, 1986) wurde das Konzept unseres ursprünglichen, balancierten Steinstapels umgedreht. In dieser menschlichen Epoche ist Baumaterial schon längst Usus. Man fängt mit einem Stapel an, der aus flachen Stäben – Staffeln – besteht, und zieht so lange bis eine Spielerin ihn zum Kollaps bringt. Und eines der erfolgreichsten frühen digitalen Spiele, Tetris(Pajitnov, 1984)(Nintendo, 1989), lebt davon Stapel zu verhindern und durch das Zusammensetzen von kompletten Reihen Blöcke zu löschen. Man muss im Wettlauf gegen die Zeit so viel ordnen und Logistik betrieben, dass man statt einem Kollaps des Stapels versucht dem Erdrücken eines Stapels zu entweichen. Während dessen türmt man einen virtuellen Stapel und sammelt Punkte um im Vergleich mit anderen die Highscores zu erklimmen.

Zusammen gefasst wird uns das Stapeln als Menschheit nicht so bald abhanden kommen, denn es ist als spielerischer und kultureller Akt ist wohl symbolisch älter als dessen ordnender und konstruktiver Akt.

Genannte Werke:

Huizinga, J. (1955). Homo ludens: A study of the play-element in culture (R. F. C. Hull, Trans.). Beacon Press. (Original work published 1938)

Kondo, M. (2014). The life-changing magic of tidying up: The Japanese art of decluttering and organizing (C. Hirano, Trans.). Ten Speed Press. (Original work published 2011)

Jenga (Hasbro, 1986)

Tetris (Pajitnov, 1984)(Nintendo, 1989)


Posted

in

by

Tags:

Comments

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *