Sammeln

Spielsteine einkassieren

Veronika Kocher (Bibliothekarin, Data Scientist und Spieleforscherin) sprach ausgehend vom Sammeln als klassischer Spieldynamik – sei es das Sammeln von Ressourcen, Punkten, gegnerischen Steinen oder Komplettierung von Sets – auch über das Sammeln und Klassifizieren von Spielen selbst.

Das Thema Sammeln im Spiel changiert zwischen den Polen von Faszination und Abwertung. Wie bei prestigeträchtigen Sammlungen von Wissen in Museen, Bibliotheken und Archiven, oder den Warenhaus-Sammlungen, die primär Zugänglichkeit und Versorgung sicherstellen sollen, markiert Sammeln im Privaten oft Status. Es umfasst auch immaterielle Formen, wie das Sammeln von Erinnerungen oder Erlebnissen. In negativen Extremen zeigt es sich als Messie-Phänomen, Überfluss, Maßlosigkeit oder Sucht.


Die Spannungen, die den Sammlungsprozess prägen, spiegeln sich auch im Spiel wider. Über Sammlungen können kulturelle Konventionen sichtbar werden: Das Arrangieren bestimmter Objekte und deren Besitz kann Status markieren, Leistungen hervorheben oder auf Zugehörigkeit und Identität verweisen.
Sammeln ist keine zufällige Aktivität, sondern ein zielgerichteter, teleologischer Prozess. Objekte – ob physisch oder immateriell – werden entlang bestimmter Regelwerke oder Muster angeordnet oder bewusst vermieden. Diese Logiken werden durch Ein- und Ausschlüsse sowie durch die Beziehungen der Objekte zueinander sichtbar.

Sammeln im Spiel kann ein aktiver oder passiver Mechanismus sein, positiv oder negativ konnotiert. Selten tritt es isoliert auf (wie z. B. in „Memory“). Meist ist es in andere Spielmechanismen eingebettet, die sich gegenseitig beeinflussen.
Beispiele von Sammlungstätigkeiten im Spiel sind das Sammeln von Murmeln, Informationen, Hinweisen, Beeren, Pilzen, Schätzen, Puzzlestücken, Punkten, Karten und mehr.
Das aktive Sammeln dient oft einem bestimmten Zweck: Durch das Vervollständigen eines Regelwerks werden neue Möglichkeiten eröffnet (z. B. Ressourcenkarten), Distinktionen geschaffen (z. B. Ausbau in Die Siedler von Catan), Werte gesteigert (Sets sind mehr wert als Einzelkarten) oder reduziert (zum Ausgleich in Koop-Spielen). Sammeln im Spiel kann mehrere Dimensionen umfassen, etwa Reihenfolgen oder Merkmale, die Schnittmengen und strategische Möglichkeiten eröffnen. Objekte können gleichzeitig positive und negative Eigenschaften haben, was zu Abwägungen und komplexen Strategien führt.
Objekte können in verschiedenen Kontexten gesammelt werden: Sie sind käuflich, an bestimmten Orten zu finden oder unterschiedlich schwer zugänglich. Dies schafft Dynamiken, die das Sammeln spannender machen.
Sets
Eine spezielle Form des Sammelns sind Sets. Diese basieren auf Mustern wie Kategorien, Reihen und Symmetrien. Sets folgen der Idee der Synergie: Der Wert eines Sets übersteigt die Summe seiner Einzelteile. Dadurch bewerten Spieler:innen die Komponenten unterschiedlich. Dieser Wertunterschied führt zu nicht-linearen Wettbewerbsdynamiken. Sets haben oft spezifische Tauschwerte oder Punktzahlen, die sie einzigartig machen.

Das Sammeln von Siegpunkten, die entweder erst nach Spielende oder während des Spiels relevant sind, dient als Motivation und Engagement. Diese dopaminergen Mechanismen, die den Kern vieler gamifizierter Prozesse bilden, belohnen Spieler:innen nicht nur, sondern fördern auch Exploration, Wiederholung und Engagement.

Sammeln erzeugt oft eigene soziale und wirtschaftliche Dynamiken, da Spieler:innen Objekte tauschen, kaufen oder verkaufen. Das Präsentieren von Sammlungen fördert Wettbewerb, Kooperation und kreativen Ausdruck. In der Gaming-Community wurde das Sammeln monetarisiert: Was früher Sammelalben waren, sind heute Items, Skins und Outfits in Online-Games.
Risiken des Sammelns
Exzessives Sammeln birgt Risiken. Es kann zu Frustration, Zeitverlust oder gar Suchtverhalten führen. In Online-Spielen wird dies oft ausgenutzt, z. B. durch Lootboxen, die fehlende Items einer Sammlung anbieten, jedoch nicht garantieren. Spieler:innen geraten in Frustration und Kaufrausch. Gesetzgeber prüfen aktuell Regulierungen solcher Mechanismen.
Antagonisten
Das Sammeln geht oft mit dem Ausspielen, Verbrauchen oder Ablegen der Objekte einher, was den Spielstand beeinflusst. Zeitdruck und Konsequenzen schaffen zusätzliche Spannung.

Beispiele: Mancala und Potlatch
Mancala
Die Geschichte von Mancala, im deutschsprachigen Raum auch als Aussaat- oder Bohnenspiel bekannt, ist von Unklarheiten geprägt. Der früheste Beleg für dieses Spiel stammt aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. Ein Mancala-Brett wurde in Abu Sha’ar, einer spätrömischen Legionärsfestung an der Küste des Roten Meeres in Ägypten, entdeckt. Die Ähnlichkeit einiger Aspekte des Spiels mit landwirtschaftlichen Tätigkeiten und die Tatsache, dass keine spezielle Ausrüstung erforderlich ist, führen zu der faszinierenden Vermutung, dass Mancala bis in die Anfänge der Zivilisation zurückreichen könnte. Allerdings gibt es kaum überprüfbare Beweise dafür, dass das Spiel älter als etwa 1300 Jahre ist.
Die symbolischen Bedeutungen traditioneller Mancala-Spiele sind vielfältig. Sie stehen häufig im Zusammenhang mit dem Wunsch nach Fruchtbarkeit und Wohlstand, der je nach gesellschaftlichem Kontext unterschiedliche Ausprägungen annimmt: von der Schwangerschaft von Frauen und Kühen über das Stehlen von Rindern und das Fangen von Fischen bis hin zum Regenkult und dem Kreislauf von Säen und Ernten. Auch der Erwerb von Wohlstand durch Handel wird symbolisch thematisiert.

Regionale Verbreitung und Vielfalt
Mancala-Spiele sind weltweit verbreitet und tragen unterschiedliche, regionsspezifische Namen. Im baltischen Raum war das Spiel einst sehr populär und wurde dort ebenfalls als Bohnenspiel bezeichnet. In den USA gibt es heute eine beachtliche Gemeinschaft von Mancala-Spieler:innen, insbesondere unter den Nachkommen versklavter Afrikaner:innen.
Ein bemerkenswertes Beispiel ist das traditionelle Mancala-Spiel „Warra“, das noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Louisiana gespielt wurde. Archäologische Funde an ehemaligen Plantagenstandorten belegen die historische Präsenz des Spiels in dieser Region.

Missverständnisse und Vorurteile
Die geringe Bekanntheit von Mancala im Westen könnte teilweise auf historische Vorurteile gegenüber sogenannten primitiven Kulturen zurückzuführen sein. Lange Zeit wurde angenommen, dass Spiele aus diesen Kulturen keine ernsthaften intellektuellen Fähigkeiten erforderten. Doch diese Annahme wurde widerlegt. Die 1961 erschienene Ausgabe von Goren’s Hoyle, einem bekannten Buch über Spiele, reflektiert die Überraschung, die mit der Entdeckung der Tiefe dieser Spiele einherging:
„Die Anthropologen haben sich nicht die Mühe gemacht, zu erklären, wie es kommt, dass das universelle Spiel der primitiven Völker ein reines Geschicklichkeitsspiel ist. Mancala ist ein rein mathematisches Spiel, das dem Spiel ähnelt, bei dem man Kieselsteine von einem Haufen zieht, um den letzten zu gewinnen – jedoch so komplex, dass es ein echter Wettbewerb bleibt.“

Strategische Tiefe und kulturelle Bedeutung
Mancala ist weit mehr als ein simples Gesellschaftsspiel. Es kombiniert mathematische Präzision und strategisches Geschick, was es zu einem anspruchsvollen und zugleich zugänglichen Spiel macht. Die kulturelle Bedeutung des Spiels – von der Symbolik bis zur sozialen Praxis – unterstreicht seine Vielseitigkeit und seine Bedeutung als universelles Spiel.

Spielprinzip
Ziel ist es, möglichst viele Spielsteine in die eigene Sammel-Kuhle zu bringen. Spieler:innen nehmen Steine aus einer Kuhle und verteilen sie gegen den Uhrzeigersinn mit einem Stein pro Kuhle. Spezialregeln erlauben das Schlagen oder das erneute Ziehen: wien zum besiepiel endet der Zug in der Sammel-Kuhle darf nochmals gezogen werden oder wird die letzte Bohne in eine leere Kuhle auf Spieler:innenseite des Brettes gelegt dürfen die Bohnen in der Kuhle der gegnerischen Seite kassiert werden.

Abb.: Matěj Baťha, CC BY-SA 2.5
Potlatch – Ein Kartenspiel über Ökonomie
Übersicht
Potlatch ist ein strategisches und pädagogisches Kartenspiel, das sich mit den Themen indigene Völker, Geschichte, Wirtschaft, Kultur und Regierung befasst. Es wurde speziell für Schulen und Jugendclubs entwickelt, basierend auf indigenen Philosophien und in Zusammenarbeit mit lokalen Ältesten sowie Sprachexperten. Das kooperative Spiel hat keinen Gewinner; der Erfolg wird daran gemessen, ob alle Spieler gemeinsam den Bedarf ihrer virtuellen “Häuser” bis zum Ende des Spiels decken können.
Das Spiel ist zweisprachig, auf Englisch und Lushootseed, der Sprache der Ureinwohner des pazifischen Nordwestens, verfügbar. Die Spielmechanik fokussiert sich auf das Teilen von Ressourcen, um die Bedürfnisse anderer Spieler in den Bereichen Nahrung, Materialien, Technologie und Wissen zu erfüllen.


Hintergrund
Das Wort “Potlatch” stammt aus der Handelssprache Chinook Jargon der Nuu-chah-nulth-Ureinwohner an der Westküste Nordamerikas. Ein Potlatch bezeichnet eine feierliche Verteilung und Neuverteilung von Ressourcen, Eigentum, Nahrung, Wissen und Reichtum. Diese Zeremonie bestätigte historisch den sozialen Status durch die ökonomischen Systeme von Subsistenz, Prestige und Teilen.
Ein Potlatch wurde oft über ein Jahr oder länger geplant und von Familien, Gemeinschaften oder Einzelpersonen veranstaltet. Diese Tradition, die von den indigenen Völkern des pazifischen Nordwestens der USA und Kanadas praktiziert wird, war zwischen 1884 und den 1950er Jahren verboten. Historisch gesehen unterstützte der Potlatch ein komplexes sozioökonomisches System, das hohe Erträge in der Nahrungsmittelproduktion und einen breiten Zugang zu Ressourcen ermöglichte.
Die Skagit-Älteste und Historikerin Vi Hilbert schrieb: “Das öffentliche Verteilen von Wertgegenständen an Gäste war die ultimative Bestätigung der Errungenschaften des Gastgebers und seines hohen Status in Familie und Gemeinschaft.”


Spielziel
Das Ziel von Potlatch ist es, durch das Verschenken von Ressourcenkarten die Bedürfnisse aller Hauskarten zu erfüllen. Jede Hauskarte repräsentiert ein menschliches “Haus”, das Ressourcen für seine Gemeinschaft benötigt, um zu überleben.
Spielprinzip:
Spieler:innen verschenken Ressourcen, um Bedürfnisse anderer zu erfüllen. Es geht darum, die Verpflichtungen des vorherigen Geschenks zu erfüllen und strategisch Ressourcen in einer Community zu managen. Statuspunkte messen den Erfolg und können in weiteren Spielrunden übernommen werden. So bekommt das Sammeln im Spiel einen kooperativen anstelle des meist kompetitiven Charakters.

Spielregeln

Spielbeginn
Der erste Spieler beschenkt einen anderen Spieler, indem er eine Ressourcenkarte in den Schenkungsbereich der Hauskarte dieses Spielers legt. Die Größe oder Menge der Ressource ist frei wählbar.
Geschenke verteilen
Der Spieler, der das Geschenk erhalten hat, spielt als Nächstes. Er muss mit einer oder mehreren Ressourcenkarten die durch das Geschenk des vorherigen Spielers festgelegte Verpflichtungsstufe erfüllen. Dabei sollte er so wenige Karten wie möglich nutzen. Erhöht er die Verpflichtungsstufe, gilt diese neue Stufe für den nächsten Spieler.
Fortführung der Runde
Die Spieler beschenken reihum jeweils einen Spieler, dessen Hauskarte noch kein Geschenk erhalten hat. Die Runde endet, wenn jede Hauskarte mindestens ein Geschenk erhalten hat oder wenn ein Spieler keine passenden Karten ausspielen kann, auch nicht durch die Aktion “Ressourcen kombinieren”.
Rundenende
Nach Abschluss einer Runde werden die Geschenke der Spieler in den Vorratsbereich der Hauskarten gelegt. Jeder Spieler zieht Ressourcenkarten, bis er wieder sechs Karten auf der Hand hat. Die Verpflichtungsstufe wird auf 1 zurückgesetzt.
Folgende Runden
Der letzte Spieler, der in der vorherigen Runde ein Geschenk erhalten hat, beginnt die neue Runde. Das Spiel wird fortgesetzt, bis ein Spieler alle Bedürfnisse seines Hauses erfüllt hat oder kein Spieler mehr passende Karten ausspielen kann.
Spielende
Das Spiel endet, wenn:
Alle Bedürfnisse eines Hauses erfüllt sind.
Kein Spieler passende Karten für die Verpflichtungsstufe spielen kann.
Spieler erhalten am Ende Statuspunkte: +1 Status, wenn alle Bedürfnisse erfüllt sind, -1 Status, wenn Bedürfnisse unerfüllt bleiben. Statuspunkte können in weiteren Spielen übernommen werden.
Spielmaterialien
72 Karten: 64 Ressourcenkarten, 8 Hauskarten
Regelkarten
Statuskarten
Pädagogischer Nutzen Indigene Gelehrte sehen sich oft mit einem Mangel an akkuraten Informationen über die amerikanischen Ureinwohner konfrontiert. Ein Gesetz schreibt inzwischen vor, dass Inhalte über indigene Völker in allen Klassenstufen behandelt werden müssen. Potlatch wurde entwickelt, um bisher wenig behandelte Themen wie indigene Wirtschaftssysteme in den Unterricht zu integrieren.

Abb.: Potlatch by NDN Players


Abb.: Potlatch Detail
 

Abb.: Edward Curtis, Kwakwaka’wakw-Potlatch mit Tänzern und Sängern, CC0

 


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