Schießen

20. Juni 2024

Wassily Bertuska (Game Artist, Developer und Researcher) eröffnete den Abschluss unserer ersten Serie über das Schießen: Kann eine Gewaltanwendung eine Kulturtechnik sein? Wo hört das Spielen auf und fängt das Kämpfen an?

Schießen definiert nicht nur ein Genre, den Shooter, es differenziert es auch weiter aus: So spricht man im Fall von Pokémon Snap (1994) auch von einem Rail-Shooter. Während man sich auf einer vorher festgelegten Strecke bewegt, wählt man den Bildausschnitt selbst und versucht Fotos von plötzlich auftauchenden Figuren zu „schießen“.

Es war das einzige Mal im Symposium, dass ein digitales Spiel als Paradeexemplar diente, als Ausgangspunkt für Überlegungen – und damit zugleich eine Sonderstellung markierte.

Im Gegensatz zu den anderen diskutierten Spieloperationen ist Schießen immer hochgradig vermittelt. Der Übergang vom Schießen zum Werfen bildete insofern die Spurrinne der Diskussion (ein Fortschritt gegenüber sonstigen Runden, die sich oft um pädagogische Sorge drehen). Man schießt eben auch Fotos. Der Rail-Shooter rekontextualisiert die Logik des Schießens nicht in einer Militärkultur oder gewaltverherrlichenden Splatter-Ästhetik, sondern zugleich an einem historisch relevanten, doch oft übergangenen Ort: der Schießbude am Jahrmarkt. Die Kommerzialisierung des fröhlichen Schießens schwappte wiederum zurück in die Waffenproduktion und brachte pinke Sturmgewehre hervor, mit denen sich Waffennarren schmücken.

Der Prozess des Schießens zerfällt bei näherer Betrachtung in mehrere, sehr unterschiedliche Schritte:

  • Anvisieren, Zielen
  • Abdrücken, Auslösen, Triggern
  • Haushalten mit Munition

Second-order technique

Als mehrdeutiges Werfen des Werfens lassen sich zumindest drei verschiedene Ludifizierungen des Schießens unterscheiden:

  1. Die Ökonomie des Geschosses: Schießen als verknappte Ressource, als Versuch oder Spielzug.
  2. Die Choreographie des Auslösers: Schießen als gespeicherter Wurf.
  3. Die Ästhetisierung der Spielumgebung durch das Visier: Schießen als erweiterter Wurf; die parabolische Flugbahn wird zur Sichtachse.

Ludification

Außerdem resultiert Schießen in der „Feststellung von Körpern“ (F. Kittler) – sei es als Foto, Jagdtrophäe oder schlicht quantifizierbare Leiche. Hier klingt bereits die Frage nach dem „friendly fire“ an. Im virtuellen Schießen ist nicht von vornherein klar, was ein Treffer im Bezug auf den Getroffenen bedeutet. Wohl aber, wie der Auslöser diszipliniert wird (vgl. Gonzalo Frasca: September 12th).

Body

Interface Culture: Pokémon Snap wurde einst auf einem N64-Controller gespielt, in der Emulation dagegen auf einer anderen Kombination aus Steuerkreuz, Joystick und Druckknöpfen. Virtuelles Schießen ist nicht einfach eine körperliche Disziplinierung wie das „einäugig Anschauen“ (Euphemismus der Jäger), bei dem Zielfernrohr, Arm und Schussauflage zusammenspielen, um ein Bild zu produzieren, einen Schuss auszulösen und eine Trophäe zu verwerten. Diese unterschiedlichen Logiken der Ludifizierung verschränken sich in gegebenen Spielsystemen jeweils unterschiedlich.

Im Rail-Shooter etwa werden die geschossenen Fotos nach Güte gepunktet. Der ausgeschaltete Terrorist muss den Rest der Runde aussetzen. Die Ergebnisse der gespielten Runde wiederum fließen in das Startguthaben an Geld, das in Waffen und Munition investiert werden kann. Der Auslöser kann zudem durch die Simulation von Explosionsschäden von Granaten und Raketen andere Distanzverhältnisse schaffen.

Space

Wie in der künstlerischen Abschlussarbeit von Wassily Bertuska sehr schön deutlich wird, können all diese Schuss-Ökonomien, Spiel-Choreographien und Raum-Ästhetiken abseits der Konvention in grotesken Verschiebungen resultieren: Drohnen salutieren, Schüsse zeichnen Linien in die Luft, das Ziel des Wettkampfes bleibt unklar.

Collective

In den laufenden Drohnenkriegen schwappt nicht nur eine quietschbunte Ästhetisierung in die Waffenproduktion über, sondern auch eine funktionale Transformation: vom Computertechnik bedienenden (also vielmehr schießen spielenden) Schützen und dem anvisierten Ziel. Dieses erlebt – oder erstirbt – als ferngesteuertes Ausscheiden.

Dies ist ein Gedächtnisprotokoll von Simon Huber, das im Nachhinein zur der Sitzung angestellt wurde und auch als Grundlage für das entsprechende Zine dient.


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